Peter und Luise Hager-Preis 2025 - MUT
Ham Babaei, Elcy Jeanrond, Eunjoo Kim, Yoon Ji Kum, Stefanie Lenz, Yujin Nam, Sandra Romina Pölger, Lena Reckord, Nastaran Shirinsokhan, Lea Stilgenbauer
13. März 2025 – 5. April 2025
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Eröffnung
13. März 2025 - 19:00 Uhr
Einführung
Prof. Dr. Matthias Winzen, HBKsaar
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English version below
Mut – Zehn künstlerische Perspektiven auf ein komplexes Gefühl
Mut: von außen betrachtet ein beeindruckendes, aufregendes Gefühl. Es suggeriert Kraft, starken Willen und Selbstsicherheit. In der inneren Gefühlswelt ist Mut häufig verbunden mit Angst, Unsicherheit oder Selbstzweifeln. Zwischen Bungee – Springen, Mutproben und der Entscheidung Künstler*in zu werden, gibt es vielfältige, auch sehr alltägliche Situationen, für die man Mut braucht: etwa um sich im Beruf oder im Privatleben für einen neuen Weg zu entscheiden oder um sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen und enge Beziehungen eingehen zu können. Mut ist notwendig, um Verantwortung zu übernehmen – sei es für einen herausfordernden Job oder in der Rolle als Eltern. Und es braucht Mut, um seine Meinung zu sagen und sich dem Risiko auszusetzen, Kritik oder Ablehnung zu erfahren. Scheinbarer Mut findet sich bei Mutproben, die im Grunde Tests für die Bereitschaft zur Unterwerfung sind: „Sei mutig, indem du tust, was ich sage.“
Lea Stilgenbauer (1. Preis) benennt schon im Titel ihrer Arbeit „Kontrollmuster“ den Widerstand, gegen den sie angehen musste, um aus einer Angst-Situation herauszukommen: Sie hat Handy-Fotos, die ursprünglich entstanden sind, um sich gegen Fehlverhalten abzusichern (Hab‘ ich den Herd abgeschaltet?), verfremdet und zu einem „Muster“ zusammengenäht. Wie eine Spur, ein Weg hinaus, zieht sich ein Leuchtfaden durch das Muster aus Kontroll-Fotos.
Mit der Porträtbüste „Afia“ „setzt“ Elcy Jeanrond (2. Preis) dem Mut ihrer Mutter „ein Denkmal“. Im Alter von 19 Jahren entschloss diese sich, von Ghana zu nach Deutschland zu fliehen, um ihren Kindern ein sicheres Umfeld und Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Sie hat dafür, wie so viele heute immer noch, das Risiko einer lebensgefährlichen Reise auf sich genommen.
Lena Reckords (3. Preis) Plastik „gestückelte Rote“ präsentiert Relikte ihrer Aktionen: Sie durchsucht den Abfall von Supermärkten nach Essbarem. Was nach einem einfachen Konzept klingt – man nimmt sich, was ohnehin weggeworfen wurde, verschwendet nichts, verringert Müll, schätzt Nahrungsmittel wert – ist rechtlich gesehen ein umstrittenes Thema. Die Menschen, die dadurch auch auf die dramatische Nahrungsmittelverschwendung hinweisen, sind nicht vor Strafe geschützt. Es erfordert Mut zu containern.
Die Gedichte der iranischen Autorin und Filmemacherin Forough Farrokhzad (1934–1967), die intime Geheimnisse, Wünsche, Schmerzen, Sehnsüchte, und Ziele von Frauen preisgaben, waren eine Form von mutigem Protest durch Enthüllung von bislang tabuisierten Inhalten. Ham Babei gibt uns in seiner Soundarbeit die akustische Einheit „MUT“, isoliert aus einem Gedicht von Farrokhzad, zu hören.
Im Unterschied zum Selfie bietet ein zeichnerisch erstelltes „Selbstporträt“ die Chance, ein komplexes Bild von sich selbst zu erstellen. Das eigene Spiegelbild kann uns anregen, über uns nachzudenken und eine Verbindung zu uns selbst aufzubauen. Das erfordert Mut: Mut zur Selbstbefragung des eigenen Körpers, der eigenen Gefühle, es erfordert Mut, sich potentiellen Betrachter*innen als offen und verletzlich zu zeigen. Die Rauminstallation von Eunjoo Kim enthält neben den Zeichnungen als wichtiges Element den Spiegel, dessen Reflexion als ständige Herausforderung dient, sich dem eigenen Selbst zu stellen.
Papier ist nicht das Material, das einem als erstes einfallen würde, will man eine sehr große Plastik zu gestalten. Yoon Ji Kum hat sich an Erfahrungen aus der Kindheit erinnert – Papier wird nach dem Trocknen fester oder gewinnt an Stärke, wenn man es schichtet – und ist das Wagnis eingegangen. In „0″ steckt ihr Mut, ihre Entschlossenheit und ihr Selbstvertrauen, Neues zu wagen und aus dem Bekannten auszubrechen.
Das Video „nach und nach“ zeigt Stefanie Lenz, die Künstlerin selbst, wie sie sich in mehreren Anläufen (Kontaktversuche über Sprachnachrichten) zu einer Aktion durchringt, die den Mut spürbar macht, den es erfordert, um sich immer wieder auf eine komplizierte Beziehung einzulassen: die der Tochter zum Vater. Die Aktion: Ein Anruf beim Vater.
Yujin Nam erstellt ihre Zeichnungen, ohne auf das Papier zu schauen. Das zwingt sie, sich auf ihre Intuition zu verlassen und Kontrolle abzugeben. Für „Linie auf Blau“ ist sie einen Schritt weiter gegangen. Die Spur auf dem Papier wird nicht durch einen Stift erzeugt sondern durch ein Messer. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Arbeit durch eine einzige falsche Bewegung zerstört wird. Mit dem Messer zieht Yujin Yam Linien, die den Jahresringen eines Baumstamms nachempfunden sind. Inspiriert von der Holzdecke ihres Ateliers, ließ sie beim „Zeichnen“ bewusst die Kontrolle los und konzentrierte sich auf die Bewegung ihrer Hand und die Dynamik des Prozesses. Die sich wiederholenden Gesten erzeugten einen rhythmischen Fluss, der die Unvorhersehbarkeit des Prozesses betont.
„Warum fällt das mir so schwer?“: Mit dieser allzu vertrauten Frage konfrontiert uns Sandra Romina Pölger mit ihrer Arbeit. Das Bild befasst sich mit der Angst, vor die Tür zu treten und sich der Außenwelt zu stellen. Wir alle kennen die Angst, den eigenen sicheren Bereich zu verlassen, sich auf evtl. schwierige Situationen einzulassen, um der sozialen Isolation entgegenzuwirken. Steht die Person kurz davor, sich mutig dem Außen zu stellen oder flüchtet sie sich in den sicheren Raum ihrer Wohnung? Die Antwort darauf liegt in der jeweiligen Perspektive der Betrachtenden.
Teller zeigen Spuren dessen, was darauf passiert ist. Sie wecken Assoziationen an Spuren anderer Ereignisse: Ein angetrockneter Soßenrest: Wie geronnenes Blut? „Diese Teller sind mehr als bloße Gegenstände – sie tragen Geschichten des Muts in sich. Geschichten, die gemeinsam das Herz jeder Revolution bilden, die nach Freiheit ruft“, schreibt die iranische Künstlerin Nastaran Shirinsokhan über ihre Arbeit „Der Rest“.
Seit 2012 lobt die Peter und Luise Hager-Stiftung zusammen mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar Preise aus, die herausragende Studierende der HBKsaar für ihre künstlerischen und gestalterischen Projekte und Arbeiten auszeichnen. Das Thema des Hager-Preises 2025 lautete »MUT«. Ausgewählt wurden zehn Arbeiten, die in der Ausstellung präsentiert werden. Die Wahl der Materialien, der Herangehensweise an das Thema sowie der Projektart war den Studierenden dabei frei überlassen worden.
Courage – Ten artistic perspectives on a complex emotion
Courage: an impressive, exciting feeling from the outside. It suggests strength, willpower and self-confidence. On the inside, courage is often associated with fear, insecurity or self-doubt. Between bungee jumping, daredevilry and the decision to become an artist, there are many situations, including everyday ones, that require courage: for example, deciding to take a new path in one’s professional or personal life, or opening up to other people and forming close relationships. It takes courage to take responsibility, whether for a challenging job or in your role as a parent. And it takes courage to speak your mind and risk being criticised or rejected. Obvious courage is found in tests of courage, which are essentially tests of submission: Be brave by doing what I say.
The title of Lea Stilgenbauer’s (1st prize) work ‚Control Patterns‘ refers to the resistance she had to overcome in order to get out of an anxious situation: She has alienated mobile phone photos, originally taken to protect herself from misbehaviour (Did I switch off the cooker?), and sewn them together to form a ‚pattern‘. Like a trail, a way out, a luminous thread runs through the pattern of control photos.
The portrait bust ‚Afia‘ by Elcy Jeanrond (2nd prize) ‚commemorates‘ the courage of her mother. At the age of 19, she decided to flee from Ghana to Germany to give her children a safe environment and access to education. Like so many today, she risked a life-threatening journey.
Lena Reckord’s (3rd prize) sculpture ‚Pieced Reds‘ presents relics of her actions: She sifts through supermarket waste for edible items. What sounds like a simple concept – take what is thrown away anyway, waste nothing, reduce waste, value food – is a controversial legal issue. People who use it to draw attention to the dramatic waste of food are not immune from prosecution. It takes courage to containerise.
The poems of the Iranian writer and filmmaker Forough Farrokhzad (1934-1967), which revealed the intimate secrets, desires, pains, longings and aspirations of women, were a form of courageous protest by exposing previously taboo content. In his sound work, Ham Babei gives us the acoustic unit MUT, isolated from a poem by Farrokhzad.
Unlike a selfie, a self-portrait created through drawing offers the opportunity to create a complex image of oneself. Our own reflection can inspire us to think about ourselves and connect with ourselves. This requires courage: courage to question one’s own body, one’s own feelings, courage to show oneself openly and vulnerably to potential viewers. In addition to the drawings, Eunjoo Kim’s installation includes a mirror as an important element, the reflection of which serves as a constant challenge to confront oneself.
Paper is not the first material that comes to mind when one wants to create a very large sculpture. Yoon Ji Kum remembered her childhood experiences – paper becomes firmer as it dries or gains strength as it is layered – and took the risk. Her courage, determination and self-confidence to try something new and break out of the familiar are in 0.
The video ‚little by little‘ shows Stefanie Lenz, the artist herself, making several attempts (contact attempts via voice messages) to bring about an action that makes tangible the courage it takes to repeatedly engage in a complicated relationship: that of a daughter with her father. The action: a phone call to the father.
Yujin Nam makes her drawings without looking at the paper. This forces her to rely on her intuition and relinquish control. For ‚Line on Blue‘ she has gone one step further. The line on the paper is not made with a pencil but with a knife. This creates the risk of destroying the work with a single wrong move. Yujin Yam uses the knife to draw lines that resemble the annual rings of a tree trunk. Inspired by the wooden ceiling of her studio, she deliberately let go of control as she ‚drew‘, concentrating on the movement of her hand and the dynamics of the process. The repetitive gestures created a rhythmic flow that emphasised the unpredictability of the process.
Why is this so difficult for me? Sandra Romina Pölger confronts us with this all too familiar question in her work. The painting deals with the fear of stepping out of the door and facing the outside world. We are all familiar with the fear of leaving our own safe space, of entering potentially difficult situations in order to counteract social isolation. Is the person about to bravely face the outside world or is he or she fleeing into the safe space of home? The answer lies in the viewer’s perspective.
Plates show traces of what has happened on them. They evoke associations with traces of other events: A dried sauce residue: like coagulated blood? These plates are more than just objects – they carry stories of courage. Stories that together form the heart of every revolution that calls for freedom,‘ writes the Iranian artist Nastaran Shirinsokhan about her work ‚The Remnant‘.
Since 2012, the Peter and Luise Hager Foundation and the HBKsaar have been awarding prizes to outstanding students of the HBKsaar for their artistic and design projects and works. The theme of the 2025 Hager Prize was ‚COURAGE‘. Ten works were selected for the exhibition. The students were free to choose the materials, the approach to the theme and the type of project.