Annegret Leiner - auseinander setzen
Annegret Leiner - auseinander setzen
6. Mai 2015 – 6. Juni 2015
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Eröffnung
6. Mai 2015 - 19:00 Uhr
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+ + + Einführungstext von Ingeborg Koch-Haag weiter unten + + +
»Auseinander setzen« heißt diese Ausstellung, ihr Titel ist programmatisch: „Vorhandenes aufs Neue begreifen. Angreifen und auseinander nehmen. Wieder zusammensetzen. Die geschaffene Ordnung brutal zerstören, bis etwas Unerwartetes entsteht. Bis die Bildgegenstände sich der Kontrolle entzogen haben. Kämpfen bis zum letzten Pinselhieb. Dekonstruktion – bis es weh tut.
Wenn das denn so einfach wäre mit der Kunst von Annegret Leiner.
Wer diesen Arbeiten begegnet, wird dahinter auf den ersten Blick eine Künstlerin in der Tradition des Informel vermuten – einer Kunstrichtung, die den subjektiven Zugriff, das in spontaner Geste Verarbeitete meint.
Doch dann sind Realitätsschnipsel zu erkennen – in Malerei oder Zeichnung hinein collagierte Foto-Fragmente, darauf Reste von Körpern & Gegenständen. Also doch kein emotionales Diktat jenseits der Vernunft, sondern bewusste Verweise auf eine Lektüre diesseits unserer Lebenswirklichkeit. Was dem Betrachter auch manch unerbauliche (Be)Deutung zumutet – sofern er sich damit auseinander setzen will. Das wurde ihm ja im Ausstellungstitel anempfohlen.“ (Ingeborg Koch-Haag)
Annegret Leiner hat bereits 2002 eine Arbeit in Berlin realisiert. Für den zentralen Veranstaltungsraum der Vertretung des Saarlandes in Berlin hat sie eine Serie von Bildern geschaffen, deren gestisch-malerische Struktur im Kontrast zur streng geometrischen Wandgestaltung des Raumes steht.
Annegret Leiner
1961/62 Studium der Kunstgeschichte an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, 1962 Wechsel zur Werkkunstschule Saarbrücken, bei Oskar Holweck, 1963-66 Studium an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Braunschweig bei Emil Cimiotti und Siegfried Neuenhausen, 1988 Förderstipendium der Stadt Saarbrücken, 1995 Arbeitsstipendium der Stadt Salzburg. 1996 Arbeitsstipendium im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf/Brandenburg
Annegret Leiner lebt und arbeitet als frei schaffende Malerin und Grafikerin in Saarbrücken.
Einzelausstellungen (Auswahl): 2001 „Annegret Leiner-Neue Arbeiten“, Museum St. Wendel
2002 Vor Ort. Arbeiten von Annegret Leiner, Galerie im Kunststall
2006 „Landschaften“, Deutsche Klinik für Naturheilkunde und Präventivmedizin (DKNP), Püttlingen/Saar; „Annegret Leiner. Landschaften“, Landesbank Saar, Saarbrücken
2011 „Annegret Leiner – Bildblicke Arbeiten 1971 – 201“, Galerie und Atelierhaus im KuBa, Saarbrücken, 2014 „anderswo“, Vertretung des Saarlandes beim Bund in Berlin
Einführung von Ingeborg-Haag zur Ausstellungseröffnung
»ich fotografiere, was ich nicht malen kann, ich male, was ich nicht fotografieren kann » – für man ray mag das zutreffend gewesen sein. von ihm stammen die worte.
bei annegret leiner ist es nur bedingt der fall. sie arbeitet mit fotos UND mit malerei. zeitversetzt. am anfang steht das foto.
fotografien – ob nun selbst gemacht oder als fremdmaterial kopiert, sind so etwas wie geborgte wirklichkeiten. und insofern manipulierbar , als man sie in fremde sinnzusammenhänge transportieren kann.
da gibt es ein bild, in dem eine garderobe erkennbar ist. darauf mäntel , kleidungsstücke. die anwesenheit von menschen wird assoziiert, die sich irgendwo in der nähe aufhalten, vielleicht demnächst zurück kommen und in ihre warmen hüllen schlüpfen. –wie lange sind sie eigentlich schon weg? und können wir sicher sein, dass der kleiderständer je wieder leer sein wird?
auf einem anderen tableau recken sich hände, verschränken sich arme, aus dem eindeutigen kontext gerissene körperteile. losgelöst von ursache & wirkung: mit einem mal erzählen sie ihre eigene geschichte .
dann sportszenen – füsse sprinten ins bild, ein tennisschläger ist zu vermuten, wir glauben, natur & landschaft zu erkennen. und manchmal auch aggressives geschehen
dass die bilder von annegret leiner über titel verfügen, kann bei ihrer lesbarkeit helfen – kann aber in die irre führen. nach meiner vermutung gehört das ausloten von zwischen-zuständen – eben das, was sich eindeutiger lesart verweigert – zum stilprinzip der künstlerin.
das gegenstandsbezogene foto wird also zum auslöser einer bildnerischen idee. wird es zerrissen, geht es seiner unmittelbaren lesbarkeit verlustig. gewinnt dabei aber eine neue dimension – eine art überschreibung entsteht.
durch dieses überschreiben und übermalen, entsteht spannung – ein bewusstes ausponderieren von zufall & gestaltung. die bildwirklichkeit des fotos hat ausgedient, sichtbare realitätsbezüge sollen nicht weiter interessieren
dabei macht sich die künstlerin eine bildwelt zunutze, die ihre existenz meist ausser-ästhetischen absichten verdankt – annegret leiner fleddert werbefotos, zerrupft plakate, zerfetzt gebrauchsillustrationen. die fotos bauen das bildgerüst auf. manches entstand auch mithilfe der eigenen kamera. einiges ist hinterfangen von einer streufolie, wie sie fotografen benutzen.
das verhältnis von fotografie & malerei ist auch deshalb spannend, weil das foto seine glaubwürdigkeit aus dem herstellungsprozess bezieht: roland barthes spricht von einer gewissheit des fotos: … was ich feststellen kann, ist, dass es so gewesen ist.
fotos als bereicherung des bildgeschehens tauchen erst in den späteren 20er jahren des vorigen jahrhunderts auf – in arbeiten von el lissitzky zum beispiel oder bei hannah höch – streng genommen spricht man von montagen, wenn figürlich-szenische elemente aus reproduktionen oder fotos ins bild collagiert werden.
collage bedeutet klebe-bild. berühmtheit erlangten die papiers collés der kubisten – die dada-anhänger übernahmen die technik . andré breton hat den begriff erstmals für die druckgrafischen montagen von max ernst benutzt.
die malerei in annegret leiners bildern nun – sollte man sie als verkörperung des zweifels betrachten, wie das der maler wols nannte? bei annegret leiner bewegte sich ja das fotos zuerst auf dem papiergrund, suchte seine landeposition, wurde hin & hergeschoben. seine bildnerische wirkung ist inhaltlich & kompositionell her sorgsam bedacht.ich weiss aus gesprächen mit der künstlerin, dass die entscheidung, ein bild FREIZUGEBEN , für sie ein schmerzlicher und auch langwieriger prozess sein kann.
denn wie die bilder ihren ausdruck mit der gestimmtheit & dem wahrnehmungspotential des betrachters ändern können – das nun weiss ich aus eigener seh-erfahrung – so treten sie stets aufs neue in einen kritischen dialog mit ihrer erzeugerin . es kann passieren, dass sie da steht und sinniert und sich ärgert. dass sie nachbessert und das getane bekämpft. dass sie vernichtet, was doch eigentlich gerade geschaffen war. dass sie sich freut über den entstandenen leer-raum. dass sie neu beginnt und betrachtet und klebt und wegwischt, dass sie die bildorganisation bedient. und die schwingt und schwebt zwischen dem vom gefühl geleiteten gestalten und rationaler bildnerischer entscheidung.
diese bilder sind nie – wirklich nie – eindeutig dechiffrierbar
die entscheidung für farbe schliesslich fällt intuitiv – ob gouache, ölkreide oder zeichentusche: annegret leiner lässt sich ein auf das kolorit der vorlage. sie REAGIERT auf die fotos, die ihr von der thematik her unwichtig geworden sind.
die farben, die sie verwendet, können korrespondieren oder kontrastieren. aber etwas geht nicht mehr: das schlichte verschwinden lassen durch komplettes übermalen, falls etwas post festum nicht mehr dem ästhetischen zugriff standhält. zeichnung und malerei führen also fort, ergänzen, kontrapunktieren.die künstlerin antwortet auf jede veränderung im bild – bis sie den widerstand des materials überwunden und die AUSEINANDER SETZUNG von sinn & form ihr plausibel scheint –auseinander setzung ist ja auch der titel dieser ausstellung.
sollte man den malerischen zugriff von annegret leiner mit einem begriff fassen, dann bietet sich am ehesten jener der informellen malerei an.
art informel – das ist eine wortschöpfung von michel tapié – er nannte diese vorgehensweise auch »art autre« (wörtlich also: andere kunst) – tapié spricht von der »bedeutsamkeit des formlosen« in seiner malerei – jede feste kompositions-regel wurde von ihm abgelehnt. allein frei erfundene zeichen sollen geistige impulse ausdrücken. die spontane gebärde als expressive verlautbarung.
inzwischen gilt informel als sammelbezeichnung für gemalte psychogramme – art brut, action painting, neo-tachismus entstehen daraus in den 50er und 60er jahren des vorigen jahrhunderts. und vertraute namen bezeichnen die grossmeister dieser stilrichung – emil schumacher , karl otto götz, fred thieler und zahlreiche andere.
und für den künstler wols bedeutet das spontane in der malerei des informel »nichts anderes, als dass der maler fähig ist, jede kausalität, auch die des malens, vor der leinwand zu vergessen«. im frühen informel wurde die spontane malgeste ideologisch geradezu gefordert.
und so wird die künstlerin annegret leiner auch in zukunft dieses aufeinanderprallen von aussenreferenz (eines fotofragmentes) und künstlerischer impulsivität (im malen) aushalten müssen – und wollen.
ingeborg koch-haag, mai 2015