Glaube / Faith
Peter und Luise Hager-Preis 2020 / Peter and Luise Hager Award 2020 + + + Die Saarländische Galerie ist ab 20.5. wieder geöffnet: Di - Fr, 14 - 18 h. Die aktuelle Ausstellung ist noch bis zum 24.6. zu sehen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
—
English version below
GLAUBE – PETER UND LUISE HAGER-PREIS 2020
mit Arbeiten von Julia Gerhards, Léo Himburg, Tanja Huberti, Tim Jungmann, Mario Maurer, Jonathan Maus, Kollektiv Maria Pauer, Johanna Schlegel, Anica Seidel, Antonia Stakenkötter, Luise Talbot
Glaube – ein „großes Wort“, ein abstrakter Begriff, ein Wort mit einem sehr weiten Bedeutungsfeld: Die Studierenden der HBKSaar haben sich der Herausforderung, die von dem diesjährigen Thema des Peter und Luise Hager-Preises ausgeht, mit großer Offenheit gestellt.
Der Glaube, erklärt der Duden, ist eine „gefühlsmäßige, nicht von Beweisen, Fakten o. Ä. bestimmte unbedingte Gewissheit, Überzeugung“. Der Glaube bezeichnet demnach eine Grundhaltung des Vertrauens – ob in religiöser oder politischer Hinsicht oder in Bezug auf das, was wir wahrnehmen.
Forschungen zur Wahrnehmung haben gezeigt, in welch hohem Maß unsere vermeintlich objektive Wahrnehmung eine subjektive Konstruktion ist. Sie hängt davon ab, was wir denken, was wir uns vorstellen, was wir uns wünschen, was wir erwarten und was wir bereits erfahren haben.
Können wir glauben, was wir sehen?
Das Video „Whiteout“ von Johanna Schlegel (3. Preis) zeigt Fotos, die allmählich vor unseren Augen verschwinden. Es löst unseren Glauben, dass ein Foto einen Moment, eine Person für immer „festhält“, in einer Flüssigkeit buchstäblich auf. Mario Maurers „Körperbild II“ führt Abdrucke von Körpern durch Fragmentierung und nachträgliche Montage in abstrakte, vieldeutige Formen über. Was sehen wir: den Körper von innen oder von außen? Teile von einem Rücken oder der Brust? Einen männlichen oder einen weiblichen Körper? Von außen betrachtet, scheint der „Schwarze Würfel“ von Jonathan Maus im Innern einen dunklen Leerraum zu verbergen. Schauen wir neugierig hinein, sehen wir uns selbst beim Schauen zu. Auf den weißen Bildern von Julia Gerhards sieht man „Schnee“, das legt der Titel nahe. Schnee ist ein biblisches Symbol für zugedeckte Sünden (Jesaja 1,18). Liegen unter den weißen Farbschichten Darstellungen der sieben Todsünden verborgen?
An was glauben wir?
An das Glück oder an die Nation? An Gott, die Kirche und ihre Rituale? Den Weihnachtsmann? An die Machbarkeit, an den Konsum? An Kleider, ein Gewand, eine Uniform?
Tim Jungmann (1. Preis) lässt das Sinnlose und Vergebliche einer strategisch geplanten Suche nach Glück physisch erlebbar werden. Seine Arbeit „Glück“ versammelt 50 gelesene Exemplare von Glücks-Ratgebern auf einem unerreichbar hoch angebrachten Regalbrett. Vom Glauben, das Unerreichbare erreichen zu können, erzählt der Linolschnitt „Ascension“ von Léo Himburg. Immer höher zu fliegen war der Wunsch von Ikarus. Er ist ins Meer gestürzt, weil er sich überschätzt hatte und an die Unbegrenztheit seiner eigenen Ressourcen glaubte. Maria Pauer (2. Preis), ein Künstlerinnenkollektiv, „untergräbt“ mit der multimedialen Installation „Aktion 1: Minus 18 Meter“ den aus Stein gemauerten Glauben an die Nation eines Denkmals im Teufelsmoor. Das Kollektiv schlägt vor, für den 18 m hohen „Niedersachsenstein“ (1922) eine ebenfalls 18 m tiefe Grube zu graben. Das Loch spiegelt die steinerne Erhebung als Umkehrung, als Infragestellung. Die unscharfen Erinnerungsbilder der Konfirmanden in „Cloud 1 (Konfirmanden)“ von Tanja Huberti führen vor, wie ein persönliches, bewusstes „Ja“ zum christlichen Glauben in der Konfirmation zu einem strengen, einengenden Ritual mit festgelegten Regeln für Kleidung und Haltung werden konnte. Beim Durchblättern von Antonia Stakenkötters fotografischer Sammlung „King Koka“ begegnen wir immer wieder der Gestalt des Coca-Cola Weihnachtsmanns. In einer Form, in der Figuren aus dem christlichen Glaubens-Ritual heute häufig überleben: Sie sind zur Ware geworden. Zu bestaunen sind zahlreiche Varianten des Weihnachtsmanns zwischen vorweihnachtlichem Kletteraffen und aufblasbarer Vorgarten-Deko. Die Serie „Tra$h & Ca$h“ von Anica Seidel bedient sich der traditionellen Gattung des Stilllebens, um Figuren aus der antiken Mythologie (Dionysos, Hebe, Ikarus und Sisyphos) über Attribute aus der Konsumwelt ins Bild zu setzen. Statt üppiger Blumen, perfekter Früchte und wertvollem Glas und Porzellan werden hier Produkte aus Billig-Discountern in Öl auf Holz gebannt. „Vertrau mir“ nennt Luise Talbot ihre großformatige Darstellung eines Kleidungsstücks, das wie eine Mischung aus Mönchskutte und Zaubererumhang aussieht. Kleidung kann uns Vertrauen oder Angst einflößen. Eine Mönchskutte vermittelt etwas Anderes als ein Arztkittel, eine Militäruniform – oder ein Zaubererumhang. Unheimlicherweise scheint der Umhang, der über die verspielten Mond- und Sternmotive und die ernsthafte Schlichtheit der Kutte widersprüchliche Botschaften aussendet, eine menschliche Figur als „Leerstelle“ zu umschließen.
Mit dem Peter und Luise Hager-Preis der Hochschule der Bildenden Künste Saar werden studentische Arbeiten und Positionen ausgezeichnet, die künstlerisch und gestalterisch hochwertig die sinnliche Erfahrbarkeit und Vermittlung von technischen, sozialen und kulturellen Prozessen thematisieren.
Aufgabenstellung der aktuellen Wettbewerbsausschreibung war die künstlerische und gestalterische Auseinandersetzung mit dem Thema „Glaube“. Die Medien, mit denen das Thema dargestellt oder behandelt werden konnte, waren dabei für die Studierenden frei wählbar.
Peter and Luise Hager Award 2020: Faith
Faith – a “big word”, an abstract concept, a term with a very broad spectrum of meaning; and the students of the HBKSaar [Saarland University of the Arts] have met the challenge posed by this – the set theme of the Peter and Luise Hager Award 2020 – with open minds and intellectual rigor.
Faith, the Duden German dictionary explains, is “a strong belief based on spiritual conviction rather than proof, facts, or the like”. Faith is a presumption of probability and it denotes a basic attitude of trust – whether with regard to a religious or political conviction, or to the way we perceive things.
Studies of perception have shown to what a great extent our supposedly objective perception is a subjective construction. It depends on what we think, what we imagine, what we desire, what we expect, what we have previously experienced, and what we believe.
Can We Believe Our Eyes?
The video “Whiteout” by Johanna Schlegel (3rd Prize) shows photos that gradually vanish before our very eyes. By showing an image to be a fleeting moment, it suspends our belief that a photograph literally “captures” a moment or a person forever. Mario Maurer’s “Körperbild II” [Body Image II] uses fragmentation and then collage to transform impressions of bodies on paper into abstract, ambiguous forms. What do we see? Is it the body seen from the inside or the outside, parts of a back or the chest, a male or a female body? Jonathan Maus’s “Black Cube”, seen from the outside, appears to conceal a dark void within. When we curiously take a look inside, we can see ourselves taking a look. In Julia Gerhard’s white pictures, we see “snow”, just as their titles suggests we might. Snow is a biblical symbol for hidden sins (Isaiah 1:18). Are representations of the seven deadly sins hidden beneath the white coats of paint?
What Do We Believe In?
In happiness or in the nation? In God, the Church, and its rituals? In Santa Claus? In feasibility? In consumerism? In clothes, a robe, a uniform?
Tim Jungmann (1st Prize) makes the senselessness and futility of a strategically planned quest for happiness physically tangible. His work “Glück” [Happiness] comprises a row of fifty well-thumbed copies of self-help guides to happiness, placed on a shelf – out of reach. The linocut “Ascension” [Rise] by Léo Himburg speaks of the belief that we can attain the unattainable. Icarus’s wish was to fly ever higher. He plummeted into the sea because he had overestimated himself and believed that his personal resources were infinite.
With its multimedia installation, “Minus 18 Meter”, the women artists’ collective, Maria Pauer, (2nd Prize), seeks to undermine “rock-solid” faith in the nation as symbolised by a monument of red brick on Teufelsmoor [Devil’s Moor] in Lower Saxony. The collective’s proposal is to dig a pit, 18 metres deep, which could contain the 18-metre-high “Niedersachsenstein” erected in 1922 in memory of soldiers killed in the First World War. The pit represents an inversion of the brick monument and hence calls into question what it stands for.
The blurred images in Tanja Huberti’s memory-based work “Konfirmanden” [Confirmation Applicants] demonstrate how saying a personal, conscious “yes” to the Christian faith in the confirmation ceremony could turn into a rigorous, restrictive ritual with strict regulations for clothing and deportment. Leafing through Antonia Stakenkötter’s little photo book “King Koka”, we repeatedly encounter a Coca-Cola Santa Claus in a form in which various figures from the Christian celebration often survive today, namely as a commodity. Numerous variations of Santa Claus as a pre-Christmas, cartwheeling, backflipping character can be admired. Anica Seidel’s series “Tra$h & Ca$h” uses the traditional still life genre to depict figures from ancient mythology (Dionysus, Hebe, Icarus and Sisyphus) but draws, not on luxuriant flowers, perfect fruit, and precious glass and porcelain, but rather on the modern-day trappings of consumerism: products from cheap discount stores are captured in oil on wood. “Trust Me” is the name Luise Talbot gives her large-format portrayal of a garment somewhere between a monk’s habit and a magician’s cape. Clothing may fill us with confidence or dread. The monk’s habit sends a different message than the doctor’s white coat, the military uniform—or the magician’s cape. Uncanny, how the cape, in sending contradictory messages via its playful moon and star motifs and modest simplicity appears to enclose a human figure as a “void” within its folds.
24. Januar 2020